Grundeinkommen - ist jetzt die Zeit dafür? Fazit

Bündnis 90 / Die Grünen OV Bargteheide

2020-11-16, 19:30 – 21:30 Uhr (digital)

Grünschnack Bedingungsloses Grundeinkommen

Teilnehmende: ca. 40 Grüne und andere Interessierte aus ganz SH Referierende: Arfst Wagner, Wolfgang Heimann, Gesprächsleitung: Birthe Jabs, Claudia Mac Arthur Protokoll: Angelika Schildmeier

1 Finanzierung

Frage: Wenn 80 Millionen Menschen monatlich 1000 € bekommen, sind das 80 Milliarden € pro Monat, 960 Milliarden im Jahr. Das ist mehr, als der Staat an Steuern einnimmt. Woher soll das Geld kommen?

Arfst und Wolfgang sind sich einig: Es gibt ca. 200 Arten von Sozialleistungen der öffentlichen Hand, direkte Zahlungen, aber auch sehr viele Ermäßigungen und Berechtigungen, Leistungen und Einrichtungen, die den Nutzer*innen kostenlos zur Verfügung gestellt und aus Steuermitteln finanziert werden. Für solche Leistungen zahlen Bund, Länder, Kreise und Gemeinden auch jetzt schon zusammen Beträge in Billionenhöhe.

Geld ist also ausreichend vorhanden. Beim BGE geht es nicht um mehr Geld, sondern um eine andere Verteilung.

Ein wichtiger Baustein dazu ist ein Umbau des Steuersystems. Bei uns basiert das Steueraufkommen seit Bismarcks Zeiten zu stark auf dem Einkommen aus abhängiger Beschäftigung. Außerdem zahlen wir viele indirekte Steuern (Mehrwertsteuer). Andere Einkünfte müssten stärker besteuert werden (Beispiel: Finanztransaktionssteuer).

Im Gespräch ist auch eine Maschinensteuer. Wie menschliche Arbeitskräfte erwirtschaften Maschinen viel Geld, die Besitzer*innen sparen sich aber die Sozialleistungen.

2 Grundsätzliches zur Akzeptanz

Valerie Wilms spricht sich dafür aus, den Begriff bedingungsloses Grundeinkommen nicht mehr zu verwenden („Der Begriff BGE ist verbrannt“). Eine Reform des Steuersystems habe bessere Chancen, politische Mehrheiten zu finden. Dazu würden mehr und höhere Grundfreibeträge gehören und eine negative Einkommensteuer (Geldzuwendungen statt Steuerzahlungen bei geringem Einkommen). Damit wäre auch eine Grundabsicherung gegeben, aber das Reizwort BGE würde wegfallen.

Arfst Wagner hält dagegen: Das Konzept der negativen Einkommenssteuer erfordert wieder einen hohen bürokratischen Aufwand, der beim BGE wegfallen würde. Einigkeit besteht, dass ein BGE, in welcher Form auch immer, nur mit einem neuen Steuersystem im Zusammenhang mit einem Umdenken bei der Gewährung von Sozialleistungen liegen kann.

3 Sonderbedarfe

Frage: Wie werden besondere Bedarfe, zum Beispiel bei Arbeitsunfähigkeit, Krankheit usw. abgedeckt? Bekommt man da noch was extra?

Das BGE würde jedem/jeder zustehen. Eine Bedürftigkeit ist nicht Voraussetzung, muss folglich auch nicht nachgewiesen werden. Überhaupt würde für den Bezug des Grundeinkommens keine Gegenleistung gefordert (Bedürftigkeit, Bemühen um Erwerbsarbeit, Alter, Kinder usw.).

Ob es in bestimmten Fällen trotzdem zusätzlich andere Hilfen gewährt werden, müsste anhand von Fallbeispielen geklärt werden.

4 Betrag

Frage: Sind die bisher genannten Beträge für ein BGE realistisch (800 €, 1000 €)? Was würde ein niedrigerer oder höherer Betrag für Staat und Bürger bedeuten? Wäre er überall in Deutschland gleich, auch wenn die Lebenshaltungskosten unterschiedlich sind?

Wolfgang Heimann und Arfst Wagner: Noch mal: Das Geld ist vorhanden. Da eines der Ziele des BGE ein Abbau von Bürokratie ist, sind die Strukturen möglichst einfach zu halten. Das spricht für eine einheitliche Höhe. Wie hoch aber das BGE letztlich ausfallen soll, ist noch mit allen Beteiligten zu klären.

5 Bürokratieabbau

Frage: Der Abbau von Bürokratie ist oft ein Argument für das BGE. Das bedeutet aber auch den Abbau von Stellen. Um wie viele Menschen geht es da, und was machen die in Zukunft?

Arfst und Wolfgang haben in Gesprächen mit Arbeitnehmervertrer*innen oder in Job Centern entsprechende Befürchtungen erlebt, besonders bei VERDI. Sie gehen davon aus, dass die Arbeit trotzdem gebraucht wird: Zeit, die bisher für Prüfung von Anträgen und Kontrolle der Auflagen verwendet wurde, würde frei für wirkliche Beratung und Hilfsprojekte. Die Frage zukünftiger Arbeitsplätze im sozialen Bereich stellt sich ohnehin durch die zunehmende Digitalisierung der Arbeitsabläufe.

6 Schlecht bezahlte Jobs

Welche Konsequenzen hat es für den Arbeitsmarkt, wenn man frei Haus das Geld bekommt, was man in manchen Jobs mit Ach und Krach für viele Arbeitsstunden bekommt? Wer macht noch die „doofen“ Jobs, wenn Geld dafür keine Rolle spielt?

Wolfgang und Arfst: Die Rolle von Geld als Motivator für Arbeit wird oft überschätzt. Sie nennen etliche Beispiele aus Studien und aus dem persönlichen Umfeld, wie Menschen ihre scheinbar unattraktiven, schlecht angesehenen Berufstätigkeiten schätzen und gerne ausüben. Auch Ehrenämter werden aus anderen Motiven als Gelderwerb ausgeübt.

In anderen Fällen könnte die durch das BGE gewonnene Entscheidungsfreiheit dazu führen, dass höhere Bezahlung oder bessere Arbeitsbedingungen durchgesetzt werden können.

7 Gleichberechtigung

Hilft das Grundeinkommen dabei, Männer und Frauen finanziell unabhängiger zu machen, dadurch Erwerbs- und Familienarbeit gerechter zu aufzuteilen und dadurch auch den bestehenden „pay gap“ zwischen Männern und Frauen zu verringern?

Wolfgang und Arfst erwarten mit dem BGE höhere Freiheitsgrade bei der Entscheidung für oder gegen eine Erwerbsarbeit. Gleichberechtigung umfasst allerdings mehr als gleiche Bezahlung, ist also allein über das BGE nicht zu lösen.

8 Faulenzen auf Staatskosten?

Was werden die Leute tun, wenn sich ihr Konto von alleine füllt? Legen sich dann alle auf die faule Haut? Oder jedenfalls ein Teil, der womöglich in soziale Isolation, Depression, „Nutzlosigkeit“ abdriftet?

Arfst und Wolfgang: Durch entsprechende Angebote können die Menschen angeregt werden, Tätigkeiten auszuprobieren, die sie für sich als interessant und befriedigend erleben.

Ein Gesprächteilnehmer: Manche Menschen müssten erst wieder lernen, es sich schön zu machen. Viele sind zu sehr auf Leistung gedrillt.

9 Gegenargumente

Welche Gegenargumente gibt es? Wem würde die Einführung eines BGE schaden?

Besonders Arfst Wagner hat häufig ängstliche Abwehr als Reaktion auf das Konzept des BGE erlebt, vor allem bei Menschen, die in das bestehende System der Sozialleistungen eingebunden sind. (siehe 5: Bürokratieabbau).

Valerie Wilms sieht große Widerstände bei der Durchsetzung voraus: „Die Politik bewegt sich immer erst dann, wenn wir am Abgrund stehen.“ Veränderungen verursachen oft Ängste. Außerdem setze das Konzept des BGE nur auf „Zuckerbrot“, die „Peitsche“ fehle vollkommen.

Sie warnt auch: Was passiert, wenn Arbeitgeber das Grundeinkommen einrechnen und als Argument missbrauchen, um niedrigere Löhne durchzusetzen?

10 Gerechtigkeit

Frage: Wir erleben zurzeit massive Umwälzungen. Klimawandel und on top Corona verunsichern die Menschen zutiefst. Staaten und Menschen reagieren mit Protektionismus. Man hat Angst zu verlieren, was man hat. Man missgönnt anderen Hilfe (Beispiel: Asylanten). Eine Stimmung des Gegeneinander statt des Miteinander entsteht. Würde ein Grundeinkommen, für alle gleich, gegen Ungerechtigkeitsgefühle helfen?

Arfst und Wolfgang: Das wäre die Idee. Arfst: Die Grünen haben ihn immer beeindruckt, weil sie weiter in die Zukunft gedacht haben als andere, besonders bei den Themen Klima, Naturschutz und Umwelt. Warum jetzt nicht auch bei Thema Soziales? Aber auch in anderen Parteien gibt es Menschen, die etwas ändern wollen. Mit denen müsse man sich zusammentun.

Wolfgang und Arfst halten nichts davon, das BGE „stufenweise“ oder „modular“ einzuführen. Es funktioniere nur als Paket: Reform des Sozialsystems und Steuerreform. Wolfgang kann sich aber einen regional begrenzten Versuch vorstellen. Er arbeitet an einem Konzept für Bad Oldesloe.

Zum Schluss gab es viele positive Rückmeldungen zu der Veranstaltung: viel Fachwissen, interessante Argumente, ausgewogene Gesprächsführung, faire Diskussion. Eine gelungener Grünschnack!

zurück