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Jugend fordert Bewegung - 1968 und heute

"Politikerwort" am 29. Mai 2019

Ich bin 75 Jahre alt und seit etwa 50 Jahren politisch aktiv. In dieser Zeit habe ich es zweimal erlebt, dass die junge Generation aufsteht und grundlegende politische Veränderungen fordert.

1968 ging es um neue Regeln für das gesellschaftliche Miteinander: Abbau autoritärer Strukturen, Mitbestimmung, Gleichberechtigung, Demokratisierung, Emanzipation, Liberalisierung der Erziehung und Ablegender der verstaubten Moral. Außerdem ging es um Abrüstung, um Frieden und Freiheit.

Im Zuge der 68er-Bewegung wurde viel erreicht: Wir leben mit unseren Nachbarländern in Frieden. Es gibt eine starke Europäische Union mit gemeinsamer Währung, mit offenen Grenzen, mit sich annähernden wirtschaftlichen und sozialen Standards. In Schulen, Universitäten und Betrieben haben alle Beteiligten eine Stimme. Frauen dürfen Verträge schließen. Frauen entscheiden, ob sie ein Kind austragen. Homosexuelle dürfen sich outen, Sexualität wurde enttabuisiert, häusliche Gewalt ist ein Straftatbestand.

Dennoch gibt es im gesellschaftlichen Bereich noch viel zu tun, vor allem bei der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich, bei der Alterssicherung, der Wohnungsnot, beim Datenschutz, der Allmacht der weltweit agierenden, rein profitorientierten Wirtschaft .

Bei der neuen Jugendbewegung „Fridays for Future“ stehen andere Lebensbereiche im Vordergrund: Klimaschutz, Umweltpolitik, Energiewende. Die jungen Leute haben erkannt, welche Bedrohungen von der rücksichtslosen Ausbeutung und Vernichtung natürlicher Ressourcen und von der zunehmenden Erwärmung der Erdatmosphäre ausgehen: Überschwemmungen und Dürre, Stürme, Steigen der Meeresspiegel, Zerstörung natürlicher Lebensräume, Artensterben; damit verbunden Hungersnöte, soziale Unruhen, Massenmigration, Krieg, vor allem in den ohnehin Not leidenden Ländern.

Junge Leute in ganz Europa und darüber hinaus fordern uns politisch Verantwortliche auf, über diese Bedrohungen nicht nur nachzudenken und zu reden, sondern die erforderlichen Gegenmaßnahmen zu beschließen und umzusetzen, und zwar sofort.

Im Gegensatz zu 1968 befürwortet die ältere Generation die Anliegen der jüngeren – vordergründig. Sie finden es „ganz toll, wie die Jugend sich engagiert“. Aber wer genauer hinhört, merkt: Die Reaktionen der „Alten“ auf Fridays for Future ähneln denen der Generation meiner Eltern auf die 68er-Bewegung erschreckend: Leugnen von Problemen (damals: „Was wollt Ihr eigentlich, es geht Euch doch gut!“, heute: „Temperaturschwankungen hat es schon immer gegeben, ganz ohne menschliches Zutun.“), Verharmlosen (damals: „Wir sind als Kinder auch geprügelt worden, das war ganz normal, und wir sind trotzdem was geworden“, heute: „Dann ist es eben ein paar Grad wärmer. Das wird doch so schlimm nicht sein.“), Herabwürdigen (damals: „Halbstarke! Gammler! Leistet erst mal was im Leben“, heute: „Schuleschwänzer! Demonstrieren kann man auch am Nachmittag!“), Gegenvorwürfe (damals: „Ihr werden doch vom Osten bezahlt.“, heute: „Von wegen Müllvermeidung. Auf Euren Schulhöfen liegt so viel Müll, da ist eine Schande!“). Ablenken (früher: “Waschen Sie sich erstmal die Haare!“, heute „Schaltet erst mal Eure Smartphones aus!“), Ablehnen von Verantwortung (damals: „Ich? Demonstrieren? So was macht man doch nicht!“, heute: „Aber der Atomausstieg und der Braunkohleausstieg sind doch bereits beschlossen, das kommt doch sowieso. Und außerdem: „Was können wir hier als kleine Stadt schon ändern?“.

Dabei haben die jungen FfF-Aktiven sehr vernünftige, realistische Ziele. Lokalpolitische Forderungen in Bargteheide sind: gut ausgebaute Wege und sichere Abstellmöglichkeiten für den Radverkehr; gut getaktete, preisgünstige Verbindungen mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Vermeidung von Autofahrten; attraktive Freizeitmöglichangebote für Jugendliche vor Ort, ebenfalls zur Vermeidung unnötiger Fahrten; Förderung alternativer Mobilitätsformen; Trinkwasserspender in der Stadt für weniger Flaschenmüll; Bejahung von Projekten erneuerbaren Energien; mehr Grün für die Luft, für Insekten, für alle Tiere und Menschen.

Diese und ähnliche Vorschläge wurden auch von Schülerinnen und Schülern beim „Planspiel Kommunalpolitik“ erarbeitet. Wir hoffen, dass auch der neu zu wählende Kinder-und Jugendbeirat uns immer wieder an die Forderungen der FfF-Bewegung erinnert.

Unsere Jugend stellt Forderungen, die wir Kommunalpolitiker und -politikerinnen in Bargteheide ohne weiteres erfüllen können – wenn wir es denn wollen.

Was kostet uns das? Manchmal möglicherweise städtisches Geld für professionelle Planung, für Baumaßnahmen, für Investitionen (etwa zum Einrichtung und Betreiben von Buslinien und Jugendeinrichtungen), vor allem aber: Nachdenken, Offenheit für neue Ideen, Fantasie, Umdenken; Loslassen von Gewohntem, Konsequenz, Mut.

Das alles haben wir doch in Bargteheide - oder?

Angelika Schildmeier, MItglied des Vorstands

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